Grossrätin Grünliberale Basel-Stadt

Schlagwort: Kindergarten

Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten

Schriftliche Anfrage Februar 2023
betreffend den Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten

Im Oktober 2019 hat Oswald Inglin eine Motion betreffend hürdenfreien, flexiblen Eintritt in den Kindergarten eingereicht. Der Vorstoss wurde als Anzug weiterbehandelt und mit Schreiben der Regierung vom November 2022 vom Parlament als erledigt abgeschrieben.

Fakt bleibt aber, dass seit der Verschiebung des Stichtags des Kindergarteneintritts das Thema in mehreren Kantonen kontrovers diskutiert wird. Die Gründe dafür sind:

  1. Es ist eine grössere Herausforderung für die Lehrpersonen jüngere Kinder zu unterrichten, weil diese möglicherweise Mühe haben, den Anforderungen des Unterrichts zu folgen. Das bedeutet mehr Zeit, mehr Ressourcen, um Kinder individuell zu unterstützen und ihnen bei der Entwicklung grundlegender Fähigkeiten zu helfen. Die Folge ist pädagogische Mehrarbeit für die Kindergartenlehrpersonen
  2. Jüngere Kinder weisen in Bezug auf das auf vier Jahre festgelegte Eintrittsalter eher Entwicklungsverzögerungen auf; in der Konsequenz werden auch mehr Fachpersonen in der Eingangsstufe benötigt
  3. Jüngere Kinder geraten unter Druck gegenüber den älteren Kindern. Das löst Stress und Belastung aus, also Leistungsdruck im Kindergartenalter, was wiederum die Freude am Lernen hemmt. Der Druck auf jüngere Kinder verstärkt sich zusätzlich, da auch der Alterseffekt eine Rolle spielt.

Der Alterseffekt wird verstärkt, wenn Eltern ihre Kinder zurückstellen und später in den Kindergarten einschulen lassen:

  1. Eltern versprechen sich einen Vorteil für ihr Kind bzgl. ihrer emotionalen, sozialen, kognitiven und körperlichen Entwicklung. Studien zum «Relativ Age Effect (RAE)» belegen klar, dass das Eintrittsalter in den Kindergarten einen signifikanten Einfluss auf die Schulleistungen von Kindern hat: Je älter ein Kind im Vergleich zu den anderen Kindern der Gruppe ist, desto grösser werden die Vorteile auf die gesamte Schullaufbahn. Diese Kinder sind auch reifer, wenn sie sich mit der Berufswahl resp. den weiterführenden Schulen auseinandersetzen.
  2. Eltern haben öfters Bedenken und sind unsicher, ob ihre Kinder zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts tatsächlich schulreif sind. Deshalb erwägen sie eine Rückstellung.

Der Effekt der späteren Einschulung ist bildungspolitisch insofern problematisch, weil nicht alle Eltern ihre Kinder zurückstellen lassen können. Dabei können finanzielle Gründe eine Rolle spielen (Kita-Kosten).  Der Aspekt trifft dann vorwiegend Kinder aus sozio-ökonomisch schwächeren Schichten und/oder Kinder mit einem Migrationshintergrund. Je häufiger sie im Kindergarten auf überdurchschnittlich alte Kinder treffen, desto stärker spielt der Alterseffekt und die entsprechende Benachteiligung.

In 20 Kantonen ist der Stichtag der 31. Juli. Die Einschulung kann unter Angabe von Gründen um 1 Jahr verschoben werden. In einigen Kantonen, die dem HarmoS-Konkordat nicht angehören, entscheiden die Eltern selbst, wann ihr Kind eingeschult wird. So werden im Kanton Luzern beispielsweise gar 40% aller Kinder später eingeschult. Zudem ist ein Eintritt auch unter dem Jahr möglich – also zweimal im Jahr: Im August und im Februar. 2021 traten im Kanton Zürich 8 Prozent aller Kinder verspätet in den Kindergarten ein. Vor zehn Jahren waren es noch 2 Prozent. Im Aargau sind es 10 Prozent, in Solothurn 13 und in Bern 14 Prozent. Im Bericht zur Motion Inglin wurde im März 20 für das SJ 18-19 eine Rückstellungsquote von 4% für Basel-Stadt ausgewiesen. Es ist davon auszugehen, dass die Quote seither stetig steigt – der Durchschnitt der Kantone liegt bei 10%. Dies, weil bildungsnahen Eltern der Alterseffekt zunehmend bekannt ist. In Basel wurde aufgrund der Vorverlegung des Stichtags das Prozedere für die Rückstellung von «entwicklungsverzögerten» Kindern gelockert. Der Prozess ist einfacher – niederschwelliger – geworden. Sprich: Der Kinderarzt oder die Kinderärztin können eine Empfehlung aussprechen, die von der Schulärztin bzw. dem Schularzt (Medizinischer Dienst) geprüft wird. Am Ende entscheidet dann die Volkschulleitung über eine Rückstellung um 1 Jahr, die in den allermeisten Fällen genehmigt wird. Den Prozess bzgl. «externe Abklärung durch eine Fachperson» begrüsse ich, denn je mehr Mitsprache den Eltern gewährt wird, desto höher ist der Anteil später eingeschulter Kinder. Darunter leidet schlussendlich die Chancengerechtigkeit.

Neben dem Alterseffekt spielt vor allem der Aspekt des tatsächlichen Entwicklungsalters der Kinder eine Rolle. Es gilt zu klären, ob und welche Wirkung das frühe Eintrittsalter auf die Kinder hat. Dies in Bezug auf den Förderbedarf, der sich in der weiteren Schullaufbahn der Kinder fortsetzt, angefangen bei der Primarschule. Deshalb stellt sich auch die Frage, ob die Zunahme an Abklärungen beim Schulpsychologischen Dienst in direktem Zusammenhang mit der Vorverlegung des Stichtags steht.

Die Ausführungen und die Forschungsergebnisse halten fest, dass neben dem effektiven Alter der relative Alterseffekt eine Rolle für den Schulerfolg einzelner Kinder spielt. Dies hat auch Auswirkungen auf die integrative Schule. Deshalb habe ich in Zusammenarbeit mit der GLP-Fachgruppenleitung „Bildung und Familie“ eine Schriftliche Anfrage betreffend den Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten eingereicht. Das Thema ist trotz des Berichts der Regierung vom November 22 zum Anzug Inglin nicht erledigt.

Zum Vorstoss geht es hier:

https://grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200112246

Es steht die Frage im Raum, ob der Stichtag wieder auf den April verlegt werden kann/soll und welche Schritte bzgl. HarmoS-Konkordat nötig wären. Die GLP-Fachgruppe ist der Meinung, dass eine Stichtagverschiebung allen Kindern zugutekäme. Sinnvoll wäre die Option, eine frühere Einschulung zu prüfen, anstatt einer Rückstellung, welche die «Unzulänglichkeit» von Kindern betont. Sprich: Kinder, die bis und mit 30. April geboren sind, treten obligatorisch in den Kindergarten ein. Kinder, die zwischen dem 1 Mai und dem 31.Juli geboren sind und sehr reif sind, könnten aufgrund ihres Entwicklungsstands – nach Abklärung – ebenso in den Kindergarten eintreten. Das bedeutet: Viel weniger Rückstellungen für Kinder, dafür vorzeitige Einschulung für sehr reife Kinder, die dann auch effektiv beim Kindergarten-Programm mithalten können.

Sandra Bothe-Wenk
Grossrätin Grünliberale Basel-Stadt
Wahlkreis Riehen

Flexibler Kindergarteneintritt

Grosser Rat 15. Dezember 2022: Notiz zum Anzug hürdenfreier, flexibler Eintritt in den Kindergarten

Mit dem Beitritt zum HarmoS-Konkordat wurde der Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten auf den 31. Juli gelegt. Der Umstand hat dazu geführt, dass eintretende Kindergartenkinder nun durchschnittlich 3 Monate jünger sind als früher. Dies bereitet den Eltern Sorgen und führt zu einer höheren Belastung für die Kindergartenlehrpersonen.

Der frühe Schullaufbahneintritt kann bei Kindern zu Problemen führen, die alters- und entwicklungsbedingt für den Kindergarten noch nicht reif sind. Die Problematik bleibt beim Übertritt in die 1. Klasse der Primarschule oft bestehen und  kann sich sogar später bis zu einem allfälligen Übertritt in die Berufslehre fortsetzen.

Die Schwierigkeit wurde vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt erkannt und in der Folge ein erleichtertes niederschwelliges Rückstellungsverfahren eingeführt. Dies ist zu begrüssen, weil eine Flexibilisierung des Kindergarteneintritts ganz ohne Hürden unerwünschte Nebeneffekte hätte. Bildungsökonomische Studien belegen, dass der Anteil später eingeschulter Kinder grösser ist, je mehr Mitsprache die Eltern erhalten. Das liegt daran, dass Erziehungsberechtigte den Alterseffekt kennen. Das heisst, sie wissen, dass der Bildungserfolg später eingeschulter Kinder höher liegt. Je höher der Anteil später eingeschulter Kinder aber wird, desto mehr leidet die Chancengerechtigkeit, weil die jüngeren Kinder mit zunehmend älteren Kindern in der gleichen Klasse verglichen werden. Der Altersunterschied in einer Klasse beträgt dadurch bis zu zwei Jahre. Das benachteiligt die jüngeren Kinder. Sie werden als schwächer wahrgenommen und kommen unter Druck.

Die Wahrung der Chancengerechtigkeit ist ein zentrales Anliegen der Volksschule. Deshalb sollten Faktoren, welche diese beeinträchtigen, minimiert werden.  Die Entscheidung den Kindergarteneintritt den Eltern allein zu überlassen, würde den Effekt aber verstärken.

Die GLP Fachgruppe Bildung unterstützt den vom Erziehungsdepartement vorgegebenen Prozess, dass bei einem Antrag auf Rückstellung weiterhin Fachpersonen beigezogen werden und die Entscheidung letztlich bei der Volksschulleitung bzw. bei der Leitung der Gemeindeschule liegt.

Gleichzeitig anerkennen wir die Probleme, die durch die Verlegung des Stichtags entstanden sind. Der Entwicklungsstand der Kinder ist zentral beim Eintritt in die Schullaufbahn. Der Lösungsansatz liegt aber unserer Meinung nach darin,  dass der Stichtag für alle Kinder wie früher wieder auf den bewährten 30. April gelegt wird. Folglich sollten eher Möglichkeiten geprüft werden, wie im Kanton Basel-Stadt der Stichtag trotz HarmoS-Vereinbarung verschoben werden kann, anstatt den Fokus auf einen flexiblen Kindergarteneintritt zu legen.

Dies wäre ein einfaches Vorgehen, das vielen Kindern bei welchen heute eine Rückstellung in Betracht gezogen wird, entgegenkommen würde, ohne dass dadurch die Chancengerechtigkeit beeinflusst wird.  Denn nach wie vor steht nach Eintritt in die Schullaufbahn mit dem Überspringen eines Schuljahres, ein geeignetes Instrument für sehr reife Kinder zur Verfügung, dass den Entwicklungsstand der Kinder individuell berücksichtig und abholt.

Letztlich ist es für den Bildungsverlauf aller Kinder von zentraler Bedeutung, dass der Eintritt in die Schullaufbahn – also in den Kindergarten – optimal gelingt. Und hier besteht durchaus Verbesserungsbedarf.

Sandra Bothe-Wenk
Grossrätin Grünliberale Basel-Stadt
Wahlkreis Riehen

Dokumente Grosser Rat zum Geschäft: https://grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200109945

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