Bevor wichtige Schulpolitische Entscheidungen getroffen werden, sollte man sich über die Forschungsergebnisse informieren!

Angesichts fehlender evidenzbasierter Erkenntnisse über die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Schulleben und bestehender negativer Zusammenhänge zwischen der Nutzungsdauer digitaler Geräte und den Schulleistungen, bitte ich den Regierungsrat im Hinblick auf die Entwicklung einer evidenzbasierten kantonalen Digitalisierungsstrategie für den Unterricht an Basler Schulen um die Beantwortung einiger Fragen, die alle Schulstufen, deren Herausforderungen und Bedürfnisse und den entsprechenden Bedarf berücksichtigt. Chancen und Risiken der Digitalisierung sind sorgfältig abzuwägen, um nachhaltige Massnahmen und Konzepte für das erfolgreiche moderne Lehren und Lernen abzuleiten.

Von der Basler Zeitung wurde ich gefragt, welche Überlegungen meinem Vorstoss zu Grunde liegen.

Zum Artikel geht es online hier: https://www.bazonline.ch/die-haelfte-der-schueler-wird-einen-beruf-haben-den-es-heute-noch-nicht-gibt-484439894026

Dabei habe ich folgende Fragen beantworten dürfen:

Wo stehen die Basler Schulen derzeit bei der Digitalisierung?

Ich meine, es kommt auf die Fragestellung zur Digitalisierung an. Geht es um die Ausrüstung der Schulen bezüglich Hardware und Software, sind wir in Basel wohl gut dabei. So verstehe ich jedenfalls den Bericht der Regierung zu meiner Motion/Anzug betreffend die Einführung eines wirklichen BYOD’s oder Systemwechsels.
Hier geht es online zum Bericht: https://grosserrat.bs.ch/dokumente/100404/000000404334.pdf

Inwieweit wir in unserem Kanton die neue digitale Technologie evidenzbasiert einsetzen oder welche Massnahmen und Konzepte an welchen Schulstandorten angewendet werden, kann ich hingegen nicht beantworten. Meine Schriftliche Anfrage soll dazu Auskunft geben.

Sie gehen das Thema Digitalisierung und Lernen ganzheitlich an: Kann man daraus schliessen, dass es derzeit in Sachen Schulen und Digitalisierung an allen Ecken und Enden fehlt?

Meines Wissens fehlt es an einer kantonalen evidenzbasierten Digitalisierungsstrategie in der Bildung.  Hingegen gehe ich davon aus, dass schulstandortbezogene Konzepte für die Einführung von Digitalen Geräten und deren Nutzung sowie Richtlinien bezüglich der Anwendung existieren.
Bei einer Digitalisierungsstrategie sollte aber im Zentrum stehen, dass sie auf solider Forschung basiert, die belegt, dass digitale Technologie in der Bildung einen Mehrwert hat und die Schülerinnen und Schülern in der Konsequenz einen höheren Lernerfolg ausweisen.

Falls ja: Was fordern Sie, dass sich das ändert?

Wir brauchen eine auf Fakten basierende kantonale Digitalisierungsstrategie. Bildungsentscheidungen sollen nicht einfach aus der Luft gegriffen sein, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Wir müssen sicherstellen, dass die Schulen nicht von einer euphorischen Digitalisierungswelle überrollt werden. Deshalb sind die Chancen und Risiken der zunehmenden Nutzung digitaler Medien an Schulen sorgfältig abzuwägen, um sicherzugehen, dass die Schülerinnen und Schüler wirklich davon profitieren und sie aufgrund des Einsatzes der digitalen Technologie einen effektiven Lernzuwachs haben, ohne Schaden daran zu nehmen.

Es wäre fatal, in der Zukunft aufzuwachen und festzustellen, dass ein Lernabbau erfolgt ist und die Kinder und Jugendlichen den sozialen Draht zueinander und zu ihren Lehrkräften verloren haben, während sie mit gesundheitlichen Problemen kämpfen. Meine Forderung ist deshalb heute und nicht erst morgen sicherzustellen, dass die Digitalisierung in unseren Schulen vernünftig, verantwortungsbewusst und evidenzbasiert gestaltet wird.

Es macht keinen Sinn einfach vorwärts zu stürmen –ohne evidenzbasierte kantonale Digitalisierungsstrategie. Das ist naiv.

Die UNESCO warnt und betont, dass vermeintlich positive Auswirkungen der Digitalisierung im Bildungswesen auf Lernergebnisse möglicherweise überbewertet sind und nicht jede Innovation zwangsläufig ein Fortschritt ist. Ebenso warnt das Karolinska Institut die schwedische Bildungsbehörde in einer Stellungnahme zur Digitalisierungsstrategie. Auch die OECD schreibt in ihrem Bericht zur Digitalisierung über negative Folgen. Und die NZZ hat sich Ende Juni der Problematik der unheilvollen Turbodigitalisierung im schulischen Bereich angenommen.

Der verantwortungsbewusste Umgang mit KI ist ebenso Thema in ihrem Vorstoss – bei der KI gibt es derzeit rasante Entwicklungen und Neuerungen. Was ist Ihrer Meinung nach der richtige politische Weg, um dem gerecht zu werden?

Die KI ist die grösste ethische und anthropologische Herausforderung, der wir uns stellen müssen, denn sie stellt letztlich die Frage, was den Unterschied zwischen dem Menschen und der Maschine ausmacht. Die Schule als Ort der Weitergabe von Kultur mit ihren zentralen Themen «Wissen», «Können» und «Lernen» ist davon im Kern betroffen.

Ein grundlegender Aspekt für die Zukunft bleibt deshalb die Förderung des kritischen eigenständigen Denkens bei Schülerinnen und Schülern. Das menschliche Forschungsinteresse darf nicht vernachlässigt werden, denn digitale Transformation ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Aus diesem Grund bleibt die Betonung von Grundlagenfächern in der Schule weiterhin von grosser bildungspolitischer Relevanz. Die Vermittlung von Schulsprache, Mathematik und Naturwissenschaften sollte in den Lehrplänen verstärkt werden.

Das ist ebenfalls eine politische Forderung, die ich mit meinem Anzug betreffend die Überarbeitung der Bildungsstrategie beim Fremdsprachenunterricht an der Volksschule zur Stärkung der Grundlagefächer bereits verfolge.
Zum Vorstoss geht es online hier:  https://grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200112439

Bemerken möchte ich weiter: Die Einführung der Fremdsprachenstrategie mit dem damaligen Lehrmittel für den frühen Spracherwerb in Französisch war ungenügend evidenzbasiert. Auch in einigen anderen Kantonen wurden mittlerweile Vorstösse eingereicht, da die Strategie und darauf aufbauende Konzepte nicht den gewünschten Erfolg in Bezug auf die Kompetenzen und Leistungen der Schülerinnen und Schüler zeigen. Um eine weitere Situation dieser Art zu verhindern, liegt es in der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger, sich für eine evidenzbasierte Bildungspolitik einzusetzen.

Eine weitere politische Forderung bezüglich KI kann darin bestehen, die effektive Aufklärung und Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern zu prüfen und zu fördern. Dabei sollte ein besonderer Schwerpunkt darauf liegen, ihnen ein solides Verständnis für die Funktionsweise von KI zu vermitteln und gleichzeitig zu betonen, wie wichtig es ist, KI kritisch zu reflektieren. Die Schülerinnen und Schüler müssen verstehen, dass KI keine allwissende Macht ist, sondern lediglich ein Werkzeug, das durch Daten gefüttert und mit menschlichen Entscheiden modelliert wird. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass sie sich ein fundiertes und eigenständig erworbenes Wissen aneignen, das nicht nur oberflächlich verstanden, sondern auch tiefgehend verinnerlicht wird. Auf diese Weise können junge Menschen ihre eigenen Potenziale entfalten und die Möglichkeiten der KI gewinnbringend nutzen.

Mittels einer faktenbasierten Digitalisierungsstrategie muss festgehalten werden, wie (wann und ob) KI an den Schulen genutzt werden soll. Nur so kann sichergestellt werden, dass angemessene Lehrpläne entwickelt werden und Lehrkräfte angemessene Lehrmethoden anwenden. Eine solche politische Forderung würde dazu beitragen, dass die nächste Generation in der Lage ist, kritisch und kompetent mit KI umzugehen und die digitale Zukunft verantwortungsbewusst zu gestalten.

 


Schriftliche Anfrage zur Entwicklung einer evidenzbasierten kantonalen Digitalisierungsstrategie für die Zukunft des Lernens an den Schulen von Basel-Stadt

Die Digitalisierung an Schulen bietet eine Vielzahl von Chancen und Vorteilen für den Unterricht, da sie innovative Lehr- und Lernmethoden ermöglicht und Schülerinnen und Schüler auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, mögliche Herausforderungen wie Datenschutz und Sicherheit sowie negative Auswirkungen wie Ablenkung durch die digitalen Geräte und Multitasking sorgfältig zu evaluieren. Dabei sollten Forschungsergebnisse, aber auch Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie sowie gesundheitliche Aspekte einbezogen werden, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Ebenso ist es wichtig, einen angemessenen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu berücksichtigen, um sie effektiv undverantwortungsbewusst einzusetzen.

Trotz der zunehmenden Digitalisierung im schulischen Umfeld fehlen bisher evidenzbasierte Erkenntnisse über die erwarteten positiven Auswirkungen auf das Lernen im Unterricht. Im Gegenteil, Studien wie die Pisa-Sonderauswertung der OECD von 2021 zeigen einen negativen Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer digitaler Geräte und der Lesekompetenz in 35 Ländern. Zudem ist bekannt, dass das Lesen und Schreiben am Bildschirm nicht den gleichen Lerneffekt erzielt wie auf Papier. Und gemäss dem Bildungsbericht 2023 zeigen Schülerinnen und Schüler aus Basel-Stadt im Vergleich zu anderen Kantonen der Schweiz bereits auf der Primarstufe einen Rückstand in Bezug auf ihre Lesekompetenz.

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es entscheidend, bei der Integration digitaler Technologien in den Unterricht eine sorgfältige Abwägung zwischen den Chancen und potenziellen Risiken vorzunehmen. Eine ausgewogene Integration digitaler Technologien in den Schulunterricht kann zu einer modernen und zukunftsorientierten Bildung führen und die Lernerfahrungen der Schülerinnen und Schüler bereichern. Eine Digitalisierungsstrategie sollte dabei nicht nur die Fragen der Geräteanforderungen (Hardware/Software) und deren Beschaffung und Finanzierung adressieren, oder die Art und Weise, wie die Lehrkräfte die digitalen Technologien und Medien in ihren Unterricht integrieren (Didaktik/Methodik), sondern einen ganzheitlichen und wissenschaftliche fundierten Ansatz verfolgen.

Potenzielle Risiken müssen bedacht werden, um den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler nicht zu beeinträchtigen. Die Entwicklung einer kantonalen Digitalisierungsstrategie, die den Teilautonomen Schulstandorten übergeordnet ist, ist entscheidend, um die positiven Potenziale der Digitalisierung optimal im schulischen Umfeld nachhaltig zu nutzen. In diesem Zusammenhang ist es auch entscheidend, dass die Arbeit mit digitalen Geräten und KI im Unterricht kontinuierlich evaluiert und angepasst wird, um den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler sowie den Ansprüchen der Lehrpersonen im Wandel der Zeit gerecht zu werden und den Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen tatsächlich zu fördern. Es wäre fatal, in der Zukunft aufzuwachen und festzustellen, dass ein Lernabbau erfolgt ist und die Kinder und Jugendlichen den sozialen Draht zueinander und zu ihren Lehrkräften verloren haben, während sie mit gesundheitlichen Problemen kämpfen.

Im Hinblick auf die Entwicklung einer evidenzbasierten kantonalen Digitalisierungsstrategie bitte ich den Regierungsrat um Beantwortung folgender Fragen, die alle Schulstufen, deren Bedürfnisse und den entsprechenden Bedarf berücksichtigen sollen:

  1. Welche konkreten Massnahmen werden ergriffen, um eine kontinuierliche Evaluation und Anpassung des Einsatzes digitaler Geräte und Medien im Unterricht einschliesslich KI sicherzustellen und wie werden Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler in diesen Prozess eingebunden? In diesem Zusammenhang: Wie werden Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler auf einenverantwortungsbewussten Umgang mit KI vorbereitet und begleitet?
  2. Wie ist geplant die Lernergebnisse und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler bei der Integration digitaler Technologien im Unterricht zu bewerten und gegebenenfalls zu verbessern? In diesem Zusammenhang: Wie werden bereits bekannte negativen Effekte der Digitalisierung auf das Lernen korrigiert?
  3. Wie werden potenzielle Risiken und Gefahren im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Geräte im Unterricht adressiert und minimiert (z.B. Cybermobbing, Datenschutz, gesundheitliche Auswirkungen)?
  4. Wie wird die Balance zwischen dem Einsatz digitaler Geräte und Medien sowie traditionellen Unterrichtsmethoden gefunden, um einen ganzheitlichen Lernansatz zu gewährleisten und eine Verminderung der sozialen Interaktion und des sozialen Lernens zu vermeiden?
  5. Welche spezifischen pädagogischen und didaktischen Fragestellungen sind bei der Nutzung digitaler Geräte im Unterricht zu beachten, damit Unterrichtsformen verfolgt werden, die ein besseres Erreichen von Lernzielen zur Folge haben?
  6. Welche Schulungen und Fortbildungen benötigen Lehrpersonen, um digitale Geräte und Medien effektiv im Unterricht einzusetzen? Wie wird sichergestellt, dass die Lehrpersonen umfassende Fortbildungen und zeitliche Ressourcen erhalten, und wie werden Lehrpersonen in der Praxis unterstützt?
  7. Wie wird die Ablenkung durch digitale Geräte im Unterricht minimiert und Missbrauch vermieden und wie kann der Herausforderung beispielsweise in Bezug auf die Konzentrationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler begegnet werden?
  8. Wie werden digitale Medien genutzt, um unterschiedliche Lernbedürfnisse und -stile der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und Chancengleichheit zu gewährleisten – dies auch im Hinblick auf Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen?
  9. Auf welcher Grundlage werden wirksame digitale Lernmaterialien bewertet, und wie wird sichergestellt, dass diese Bewertung den aktuellen pädagogischen, didaktischen und wissenschaftlichen Standards entspricht?
  10. Wie wird der aktive Austausch mit Wirtschaftsvertretern sichergestellt und wie werden die gewonnenen Erkenntnisse in die Lehr- und Ausbildungspläne bzgl. der Integration von KI und der Digitalisierung im Bildungswesen einbezogen, um die zukünftigen Bedürfnisse der Wirtschaft effektiv zu berücksichtigen?
  11. Ist der Regierungsrat bereit, eine evidenzbasierte, nachhaltige Digitalisierungsstrategie für den Kanton Basel-Stadt zu entwickeln, die den Teilautonomen Schulstandorten übergeordnet ist und die Chancen und Risiken der Digitalisierung ganzheitlich berücksichtigt?

 

Sandra Bothe-Wenk
Grossrätin Grünliberale Basel-Stadt
Wahlkreis Riehen


Online: Grosser Rat Basel-Stadt, Geschäft 20.5266
Anzug Sarah Wyss und Sandra Bothe betreffend Einführung eines wirklichen BYOD’s oder Systemwechsels
https://grosserrat.bs.ch/ratsbetrieb/geschaefte/200110394

Studie: Lesen im 21. Jahrhundert: Lesekompetenz in einer digitalen Welt (Fokus Deutschland)
https://www.oecd.org/pisa/PISA2018_Lesen_DEUTSCHLAND.pdf
Link zum OECD-Gesamtreport:
https://www.oecd.org/pisa/publications/21st-century-readers-a83d84cb-en.htm

Stellungnahme Karolinska Institut bzgl. Digitalisierungsstrategie für Schweden:
https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/07/Karolinska-Stellungnahme_2023_dt.pdf

Bildquelle: lgr.ch